Am 22. Oktober 2025 drehte sich bei unserer Online Session alles um ein großes Thema mit kompliziertem Namen: Datensolidarität. Was das ist – und warum es uns alle betrifft – erklärte Prof. Barbara Prainsack von der Universität Wien. Moderiert wurde das Gespräch von Birgit Bauer, Gründerin von Data Saves Lives Deutschland.
Gemeinsam mit den Teilnehmenden ging es um eine zentrale Frage:
Wie können wir Daten so nutzen, dass sie allen zugutekommen, ohne dass Vertrauen verloren geht?
Grafik.: DSLDE
Was bedeutet Datensolidarität eigentlich?
Prof. Prainsack erklärte das ganz anschaulich: Unsere Daten sind wie Bausteine – einzeln unscheinbar, aber gemeinsam können sie etwas Großes bewirken.
Wenn Forschende unsere Gesundheitsdaten nutzen dürfen, können sie Krankheiten besser verstehen, Therapien verbessern und Vorsorge stärken. Aber: Damit das funktioniert, müssen wir darauf vertrauen können, dass unsere Daten sinnvoll, gerecht und sicher verwendet werden.
Und genau hier kommt Datensolidarität ins Spiel. Sie heißt:
Wir teilen Daten nicht blind, sondern verantwortungsvoll.
Wir ermöglichen Nutzungen mit öffentlichem Wert, also solche, die uns allen zugutekommen.
Und wir sagen Nein zu Datennutzungen, die schaden oder ungerecht sind.
Kurz gesagt: Datensolidarität ist Vertrauen mit Regeln.
Pluto – wenn Datennutzung verständlich und bewertbar wird
Ein besonderes Highlight der Session war die Vorstellung von Pluto – einem neuen Online-Tool, das Datennutzungen sichtbarer und bewertbarer machen soll.
Pluto wurde am Centre for the Study of Contemporary Solidarity (CeSCoS) der Universität Wien entwickelt und ist frei zugänglich. Es hilft Bürger:innen, Forschenden und politischen Entscheidungsträger:innen dabei, zu verstehen, welchen öffentlichen Wert eine bestimmte Datennutzung haben kann.
Statt nur danach zu fragen, welche Daten gesammelt werden, geht Pluto der viel wichtigeren Frage nach:
Wofür werden die Daten verwendet – und wer profitiert davon?
Anhand verschiedener Szenarien können Nutzer:innen einschätzen, ob eine Datennutzung dem Gemeinwohl dient oder eher problematisch ist. So wird deutlich: Nicht alle Datennutzungen sind gleich. Manche fördern Gesundheit, Forschung oder Nachhaltigkeit – andere schaffen Ungleichheit oder Abhängigkeit.
Prof. Prainsack betonte, dass Pluto kein fertiges Bewertungssystem ist, sondern ein Werkzeug, um Transparenz und Dialog zu fördern. Es lädt dazu ein, sich selbst mit Datenethik auseinanderzusetzen – ohne Fachwissen vorauszusetzen.
Teilnehmende der Session fragten, wie man Risiken früh erkennen oder komplexe Themen besser vermitteln könne. Prof. Prainsack empfahl, mit echten Beispielen und Geschichten zu arbeiten, damit Daten und ihre Wirkung greifbar werden.
Verstehen schafft Vertrauen – das Glossar zur Datensolidarität
Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung ist das Glossar zur Datensolidarität.
Es ist mehr als nur ein Nachschlagewerk – es ist eine Brücke zwischen Fachsprache und Alltagssprache.
Das Glossar erklärt zentrale Begriffe wie Daten-Governance, öffentlicher Wert, Datenethik oder Solidarität in klarer, verständlicher Sprache. Dabei geht es nicht nur um Definitionen, sondern auch um Zusammenhänge: Wie hängen Vertrauen, Verantwortung und Teilhabe bei der Datennutzung eigentlich zusammen?
Für viele Patient:innen und Bürger:innen ist das Glossar eine erste Orientierungshilfe, um zu verstehen, worüber Fachleute sprechen – und damit auch ein Mittel, um selbstbewusster mitzudiskutieren.
Besonders stolz sind wir bei Data Saves Lives Deutschland, dass wir an der deutschen Übersetzung und Adaption mitarbeiten durften.
Das englische Original stammt vom Digital Health & Technology Laboratory (DTH-Lab), und gemeinsam haben wir dafür gesorgt, dass dieses Wissen jetzt auch auf Deutsch frei zugänglich ist.
Diese Arbeit war für uns mehr als ein Übersetzungsprojekt – sie war eine Lernreise. Wir mussten Begriffe finden, die nicht nur korrekt, sondern auch verständlich und nahbar sind. Denn Sprache entscheidet, ob Menschen sich ausgeschlossen fühlen oder anfangen mitzureden.
Mit unserer Mitwirkung an der deutschen Übersetzung des Glossars wollen wir zeigen:
Verständnis ist der erste Schritt zur Teilhabe – und Teilhabe ist das Fundament von Datensolidarität.
Denn nur wer versteht, kann bewusst entscheiden, ob und wie er seine Gesundheitsdaten teilt, um gemeinsam Fortschritt und bessere Versorgung zu ermöglichen.
Daten in der Medizin – gemeinsam, nicht gegeneinander
Im Gespräch wurde schnell klar: Datensolidarität ist kein theoretisches Konzept, sondern betrifft den Alltag vieler Menschen.
Ein Teilnehmer erzählte, dass Patientendaten zwar in einer Klinik gesammelt werden, aber Forschende in anderen Häusern keinen Zugriff darauf haben – obwohl sie die Daten dringend für ihre Arbeit brauchen.
Andere fragten, wie man die Kontrolle über Daten behalten kann, wenn Künstliche Intelligenz (KI) und große Sprachmodelle (LLMs) im Spiel sind.
Prof. Prainsack machte deutlich, dass Datensolidarität nicht nur Technik, sondern auch Politik ist. Wir brauchen neue Regeln, die Datenteilen möglich machen – ohne dass Vertrauen verloren geht. Denn:
„Ohne Vertrauen keine Daten. Ohne Daten kein Fortschritt.“
Zum Schluss: Offenheit wagen
Gegen Ende der Session wurde diskutiert, ob das Thema Datensolidarität für Patient:innen nicht „zu kompliziert“ sei.
Doch genau da setzt Data Saves Lives Deutschland an.
Birgit Bauer betonte in ihrem Abschlussstatement:
„Ja, wir reißen hier schwere Themen auf. Aber genau das ist wichtig. Wenn wir immer nur das Einfache ansprechen, bleibt vieles, was unsere Zukunft betrifft, außen vor. Wir bei DSL DE trauen den Menschen zu, sich auch mit komplexen Fragen zu befassen. Wir öffnen Türen – aber hindurchgehen müssen die Menschen selbst.“
Diese Haltung prägte die Session: Zutrauen statt Bevormundung, Dialog statt Distanz.
Wie geht’s weiter?
Auch wenn noch keine weiteren Termine feststehen, ist eines klar: Data Saves Lives Deutschland bleibt am Thema dran und wir hoffen auf ein Wiedersehen mit Prof. Barbara Prainsack im nächsten Jahr!
Weil:
Datensolidarität ist kein Einmal-Gespräch, sondern ein Prozess – einer, der Wissen, Vertrauen und Zusammenarbeit braucht.
Wir werden das Thema weiter begleiten – in Blogbeiträgen, Gesprächen und Projekten – und natürlich mit dem Glossar zur Datensolidarität, das wir gemeinsam mit Partnern weiterentwickeln wollen. Denn es hat sich gezeigt: Verständliche Informationen sind die Grundlage dafür, dass Menschen sich ein eigenes Bild machen und mitreden können.
Datensolidarität ist kein Expertenwort – es ist ein Thema, das jede und jeden betrifft, der schon einmal im Wartezimmer saß oder eine Gesundheits-App genutzt hat.
Unser Fazit: Datensolidarität geht uns alle an
Vielleicht klingt das alles noch etwas theoretisch – aber Datensolidarität entscheidet mit darüber, wie Gesundheitsforschung funktioniert und wie fair unsere digitale Zukunft wird.
Wenn wir als Bürger:innen verstehen, worum es geht, können wir auch mitreden und mitgestalten. Und genau das wollen wir erreichen:
Verstehen. Vertrauen. Verantwortung.
👉 Mehr zum Thema findet ihr hier:
Health Literacy trifft Datensolidarität – Warum Verstehen der erste Schritt zum Vertrauen ist
Weiterführende Links
Mehr von Professor Barbara Prainsack:
Datensolidarität
Barbara Prainsack und Seliem El-Sayed:
https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-662-70119-5_43-1.pdf
DTH Lab: https://www.dthlab.org/digital-citizenship-for-health
